Sehr geehrter Herr Finanzsenator Daniel Wesener,
der Immobilienkonzern Akelius kaufte zwischen 2006 und 2021 in Berlin 14.048 Wohnungen. Im dritten Quartal 2021 betrug ihr Wert 3,814 Milliarden Euro, das waren 27 Prozent des gesamten Immobilienbesitzes des Konzerns.1 Durch die aggressive Verdrängung von Altmieter*innen mit anschließenden oberflächlichen Luxusmodernisierungen hatte Akelius von diesen Wohnungen bis September 2021 bereits 43 Prozent ins Hochpreissegment verschoben. Viele der Wohnungen waren vorher preisgünstig und sind als bezahlbarer Wohnraum nun unwiderruflich verloren.2
Am Wahlabend, dem 26. September 2021, gab Akelius überraschend den Komplettverkauf aller Wohnungen in Berlin, Hamburg, Stockholm, Malmö und Kopenhagen bekannt. Der Kaufpreis betrug 9,1 Milliarden Euro. Käufer war der Immobilienkonzern Heimstaden.3 Vier Monate nach diesem Mega-Deal beschloss Akelius eine Rekorddividende in Höhe von 6 Milliarden Euro auszuschütten.4 Akelius hat angekündigt sich zukünftig auf den Markt in Nordamerika und Großbritannien zu konzentrieren und darüber seine alte Bestandsgröße an Wohnimmobilien wieder zu erlangen. Das heißt, Akelius plant dort umfangreiche Einkäufe von rund 25.000-30.000 Wohnungen.5
Seit im Sommer 2019 unser Dossier „Akelius in Berlin 2018/2019“6 erschienen ist, weisen wir Mieter*innen immer wieder darauf hin, dass Akelius womöglich beim Erwerb vieler Mietshäuser mit fingierten Share Deals die Grenze der Legalität überschritten hat. Wir konnten in mehreren Fällen nachweisen, dass die beiden jeweiligen Shareholder nicht unabhängig voneinander sind, sondern über das international weit verzweigte Akelius-Firmengeflecht in Abhängigkeit zueinander stehen. Der Bezirk Neukölln hat daraufhin erfolgreich auf die Herausgabe und Überprüfung von Kaufunterlagen bei einem Hauskauf durch Akelius geklagt.7 Außerdem hat die SPD-Bundestagsabgeordnete und heutige Staatssekretärin Cansel Kiziltepe mit zwei Anzeigen (09/20, 04/21) bei der Berliner Steuerbehörde eine Prüfung von insgesamt vier Akelius-Share Deals gefordert.8
Ohne dass die Öffentlichkeit bisher über die Ermittlungen gegen Akelius informiert wurde, hat sich der Konzern durch den überstürzten und umfangreichen Verkauf an Heimstaden aus Europa zurückgezogen. Wir ehemaligen Akelius-Mieter*innen aus Berlin vermuten, dass Akelius dem allgemein wachsenden Druck auf den Konzern durch verschiedene Regulierungsbemühungen ausgewichen ist.9 Vor allem auch der zunehmende Druck durch öffentliche Forderungen nach Transparenz und gegebenenfalls Strafverfolgung wegen der genannten vermutlich illegalen Praktiken beim Erwerb zahlreicher Berliner Mietshäuser – inklusive der Vermeidung der Grunderwerbssteuer – scheinen zu dieser Entscheidung geführt zu haben. Uns irritiert, dass der damalige SPD-geführte Finanzsenat keine Transparenz über den Verlauf der Ermittlungen bezüglich Kiziltepes Anzeige hergestellt hat – trotz mehrfacher Hinweise und Aufforderungen. Stattdessen hat sich der Senat auf das Steuergeheimnis berufen. Dabei sieht das deutsche Steuerrecht Ausnahmen vom Steuergeheimnis vor, wenn z. B. Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden, die das Potential haben die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das allgemeine Vertrauen in die Arbeit der Behörden erheblich zu erschüttern.10 Beides sehen wir im Fall von Akelius als gegeben an, denn die Anwendung des Vorkaufsrechts als stadtplanerisches Instrument wurde vereitelt und möglicherweise ein zweistelliger Millionenbetrag an Steuern nicht gezahlt. Seit 2008 wird Steuerhinterziehung von über einer Million Euro in der Regel mit einer Gefängnisstrafe von mehr als zwei Jahren bestraft, die somit nicht zur Bewährung ausgesetzt werden kann.11 Wir fordern daher den neuen Berliner Finanzsenat auf, endlich Transparenz über den Stand bzw. Ausgang der Ermittlungen herzustellen. Die Öffentlichkeit muss davon erfahren!
Wir fordern:
- Transparenz: Wurde auf die Anzeigen hin ermittelt? Was ist der Stand der Ermittlungen? Wie war / ist der Verlauf der Ermittlung? Was sind bisherige Ergebnisse der Ermittlungen? Wurden Vereinbarungen zwischen Finanzbehörde und Akelius getroffen, die die Ermittlungen betreffen? Wenn ja, dann fordern wir auch darüber Transparenz!
- Straf- und zivilrechtliche Aufarbeitung: Sollte es möglich sein, muss Akelius oder der Rechtsnachfolger Heimstaden noch vor Gericht für die dubiosen Machenschaften strafrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden und alle gegebenenfalls hinterzogenen Steuern zurückgezahlt werden!
- Politische Aufarbeitung: Falls die Ermittlungen zu irgendwelchen Bedingungen eingestellt wurden, z. B. dass Akelius mit der Zahlung eines Geldbetrages oder sonstigen Zugeständnissen davongekommen ist, muss der gesamte Vorgang mit einem Untersuchungsausschuss parlamentarisch aufgearbeitet werden. Die Verantwortlichkeiten müssen geklärt werden und es muss unterbunden werden, dass Politik und Verwaltung solche Freifahrtscheine erteilen. Dafür braucht es volle Transparenz zum Umgang der Steuerbehörden mit Akelius!
- Politische Konsequenzen: Politiker*innen auf Landes- und Bundesebene müssen entschieden und konsequent für eine Vermögenssteuer und Vermögensobergrenze einstehen. Ebenso müssen die Direktiven zum Menschenrecht auf Wohnen „The Shift Directives: From financialized to human rights-based housing”, die die Organisation The Shift veröffentlicht hat, in die entsprechenden Gesetze aufgenommen werden!12
Wir leben in unruhigen Zeiten. Reiche und Vermögende häufen immer mehr Reichtum und Vermögen an, während die großflächige Verarmung der meisten Menschen weltweit rasant voranschreitet. Der wachsende und gefährliche Vertrauensverlust in die Demokratie begründet sich auch in dieser Ungerechtigkeit. Und er wird weiter befeuert, wenn sich Überreiche wie Roger Akelius und Profitmaximierer wie der Akelius-Konzern offensichtlich nicht an geltende Gesetze und gesellschaftliche Fairness halten und wenn dann die ohnehin schon dürftigen Gesetze zur Strafverfolgung und Transparenz im Bereich der Wirtschaftskriminalität noch nicht mal angewandt werden. Das ist Ausdruck einer Politik der Verachtung, die Überreiche durch reichenfreundliche politische Instrumente strukturell begünstigt und gleichzeitig die überwiegende Mehrheit der Menschen missachtet.13
In Solidarität mit den Mieter*innen in Großbritannien und Nordamerika haben wir unsere Recherche zu den Akelius-Stiftungen und dem System des Bluewashing und der Steuervermeidung ins Englische übersetzt und veröffentlicht.14 Jeder Cent, den Akelius aus Berlin rausgeschafft hat, weil die deutschen Steuerbehörden nicht verantwortlich handeln, stürzt Mieter*innen in anderen Städten in Not und Verzweiflung.
Herr Wesener, klären Sie auf und handeln Sie!
Mit freundlichen Grüßen,
Vernetzung der Akelius Mieter*innen Berlin, inzwischen fusioniert mit StopHeimstaden
https://stoppakelius.de/
presse@stoppakelius.de
http://stopheimstaden.org/
Bündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn, Berlin
https://stoppakelius.de/
presse@mietenwahnsinn.info
Deutsche Wohnen & Co. enteignen!
https://www.dwenteignen.de/
presse@dwenteignen.de
https://www.darumenteignen.de/en/
Berliner Mieterverein e.V.
https://www.berliner-mieterverein.de/
bmv@berliner-mieterverein.de
Dieser Offene Brief geht an:
- Finanzsenator Daniel Wesener (Bündnis 90 / Die Grünen)
senatorenbuero@senfin.berlin.de - Rechnungshof von Berlin
poststelle@rh.berlin.de - Presse in Deutschland, Großbritannien, USA, Kanada, Schweden und Frankreich
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- https://mb.cision.com/Main/3302/3441631/1487195.pdf, S. 4
- https://mb.cision.com/Main/3302/3441631/1487195.pdf, S. 13
- https://mb.cision.com/Main/3302/3421476/1473252.pdf
- https://mb.cision.com/Main/3302/3542975/1561952.pdf
- https://www.hemhyra.se/nyheter/akelius-vill-salja-28-500-hyresratter-vi-ska-lamna-sverige/
- https://akelius-vernetzung.de/wp-content/uploads/2019/08/Dossier_Akelius_in_Berlin_2018_19_Auflage_2_lores.pdf
- https://www.tagesspiegel.de/berlin/juristisches-neuland-gegen-investoren-berlin-neukoelln-uebt-erstmals-vorkaufsrecht-bei-share-deal-aus27206288.html
- https://cansel-kiziltepe.de/akelius-share-deals-rekonstruktion/
- https://www.hemhyra.se/nyheter/akelius-vill-salja-28-500-hyresratter-vi-ska-lamna-sverige/
https://de.wikipedia.org/wiki/Mietendeckel
https://www.dwenteignen.de/ - Abgabenordnung (AO) §30 Steuergeheimnis, Absatz 4, Nummer 5a: „die Offenbarung erforderlich ist zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Gemeinwohl oder einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit, die Verteidigung oder die nationale Sicherheit oder zur Verhütung oder Verfolgung von Verbrechen und vorsätzlichen schweren Vergehen gegen Leib und Leben oder gegen den Staat und seine Einrichtungen,“
und Nummer 5b: „Wirtschaftsstraftaten verfolgt werden oder verfolgt werden sollen, die nach ihrer Begehungsweise oder wegen des Umfangs des durch sie verursachten Schadens geeignet sind, die wirtschaftliche Ordnung erheblich zu stören oder das Vertrauen der Allgemeinheit auf die Redlichkeit des geschäftlichen Verkehrs oder auf die ordnungsgemäße Arbeit der Behörden und der öffentlichen Einrichtungen erheblich zu erschüttern“ - Bundesgerichtshof, Urteil vom 7. Februar 2012, Aktenzeichen 1 StR 25/11, nach Ronen Steinke: Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz, Berlin Verlag 2022, S. 145;
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&nr=59606&pos=0&anz=1
Bundesgerichtshof, Mitteilung der Pressestelle Nr. 20/2012: Strafzumessung bei Steuerhinterziehung in Millionenhöhe
https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&anz=1&pos=0&nr=59128&linked=pm&Blank=1 - https://make-the-shift.org/
- Martin Schürz: Überreichtum. Sonderausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2020 (Erstausgabe Campus Verlag 2019), S. 113 ff.
- Englische Übersetzung: https://www.akelius-vernetzung.de/?p=1512
Pressemitteilung: https://www.akelius-vernetzung.de/?p=1516
Deutsche Erstveröffentlichung der Recherche und Presse:
https://www.akelius-vernetzung.de/wp-content/uploads/2022/04/Bluewashing_Steuervermeidung_Akelius_Foundation.pdf
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/akelius-wie-immobilien-milliarden-aus-dem-verkauf-an-heimstaden-auf-den-bahamas-landen-a-dd524b97-519c-4213-9dfe-2f616b87352e
https://taz.de/Akelius-schuettet-Dividende-aus/!5843609/